Lobau-Autobahn: Fakten, Hintergründe und Erfolge des Monsterprojekts

Seit Jahren sorgte vor allem ein heimisches Verkehrsprojekt für Aufsehen: Der Bau der Lobau-Autobahn. Nun steht fest: Der Tunnel und einige Abschnitte werden nicht gebaut. Andere Projekte bleiben bestehen, welche genau erfährt ihr hier.
S1-Spange, Stadtstraße, Autobahn - Das sind die wichtigsten Begriffe
Wien – Eigentlich ist die Lobau-Autobahn nur ein umgangssprachlicher Überbegriff und beinhaltet defacto zahlreiche Straßenbauprojekte in Wien bzw. im Wiener Umfeld, die seit Jahren geplant, evaluiert und kritisch hinterfragt werden. Dazu gehören die Stadtstraße, die S1 Spange und die S1 Wiener Außenring Schnellstraße Schwechat bis Süßenbrunn, die die Lobau in einem Tunnel, dem sogenannten „Lobau-Tunnel“, unterqueren hätte sollen. Insgesamt ging es um 19 Kilometer und rund zwei Milliarden Euro.
- Die Stadtstraße: Sie sollte die A23-Südosttangente mit der S1-Spange Seestadt Aspern bei der Anschlussstelle Seestadt West verbinden. Als Gemeindestraße wird sie daher nicht von der ASFINAG (Autobahn- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft), sondern von der Stadt Wien gebaut. Die Bauarbeiten der 3,2 Kilometer langen, größtenteils vierspurigen Straße mitten durch die Donaustadt laufen schon und sollen weiterhin gebaut werden.
- Die S1 Spange: Sie ist Teil der Verbindung zwischen Außenring-Schnellstraße S1 und der Südosttangente A23. Der Abschnitt soll bei Raasdorf in Niederösterreich angebunden werden und führt dann zur Seestadt Aspern, wo sie auf die Stadtstraße trifft. Der Baubeginn der ASFINAG war für 2022 geplant.
- Die S1 Wiener Außenring Schnellstraße: Die S1 gibt es bereits, sollte aber zwischen Schwechat und Süßenbrunn ausgebaut werden und die Lücke im Autobahnring um Wien schließen. Damit das gelingt, müsste es einen Tunnel geben, der auf acht Kilometer in 60 Meter Tiefe den Nationalpark Lobau unterqueren soll - der sogenannte Lobautunnel. Er wird nicht mehr gebaut.
Wie hat das mit der Lobau-Autobahn überhaupt begonnen?
Ausschlaggeber für den Bau der Lobau-Autobahn waren Prognosen zum Bevölkerungswachstum. Bis 2030 werden demnach rund 110.000 zusätzliche Menschen in den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt leben. Zudem sollen dort 60.000 neue Arbeitsplätze entstehen und damit die Wirtschaft ankurbeln. Eine gute Mobilität, die bis dato nicht gegeben war, wurde zur Voraussetzung für die Realisierung zahlreicher Stadtentwicklungsprojekte. 2005 war für die Wiener SPÖ aber auch für das damals blaue Verkehrsministerium klar: Es gibt keine Alternative zu einer zusätzlichen Donau-Querung. Die unterirdische Verbindung wurde abgesegnet.
Nach einigen Änderungen wurde das Vorhaben durch das Umweltverträglichkeitsprüfungs-(UVP)-Verfahren zehn Jahre später genehmigt. Dies war der offizielle Startschuss für die Planung und Umsetzung des Straßenverlaufs, des Tunnelbaus sowie die Rodung in einer Gesamtfläche von 43.193 Quadratmeter. Die Ausgangslage für einen jahrzehntelangen Diskurs ist damit ebenso perfekt.
Wo ist der Klimaschutz-Haken und wer sind die wichtigsten Akteur:innen?
Grundsätzlich klingt die oben angeführte Erläuterung schlüssig, wären da nicht ein, zwei Faktoren, auf die man eventuell doch Rücksicht nehmen sollte. Ein gutes Stichwort hierzu wäre die sich vollziehende Klimakrise. Allein die Vorstellung eines acht Kilometer langen Beton-Tunnels, welcher sich unterirdisch und rücksichtslos seinen Weg durch den geschützten Nationalpark Donau-Auen gräbt, ist für Klima-Aktivist:innen wohl mehr als angsteinflößend.
Immerhin sollte ein Blick auf die Klimabilanz reichen, um zu verstehen, dass ein weiterer motorisierter Ausbau künftig wenig Sinn hat. Denn der Verkehrssektor ist der einzige Sektor in Österreich, dessen Treibhausgas-Emissionen seit den 1990er-Jahren gewachsen sind und die Zeit dreht sich weiter. Vor 20 Jahren, als das Projekt erstmals aufkam, waren Klimaziele von relativ geringer Bedeutung, der Komfort der Bewohner:innen am Stadtrand jedoch extrem relevant. Für die Zukunft wurden die Karten aber neu gemischt. Politische Projektgegner:innen wie die Grünen und die Umweltorganisation GLOBAL 2000, Fridays for Future, Greenpeace und Extinction Rebellion zeigten immer wieder auf, welche konkrete Folgen zu erwarten sind.
Nationalpark Donau-Auen in Gefahr
Mitteleuropa sollte stolz auf die Lobau sein: denn sie ist die letzte große, zusammenhängende und ökologisch weitgehend intakte Flussau. Als Feuchtlebensraum ist sie logischerweise auf eine gute Verbindung zum Grundwasser angewiesen. Dieses befindet sich auch noch (welch Überraschung) in 60 Metern Tiefe - also genau dort wo der Lobau-Tunnel gebaut werden soll. Was passiert also, wenn plötzlich eine Beton-Röhre die Grundwasserverbindung blockiert? Laut Fridays for Future-Angaben wirkt der Tunnel dann einerseits als Stauer, was zu einem Anstieg des Grundwassers führt und die Gefahr von überfluteten Kellern erhöht. Auf der anderen Seite wird das Grundwasser aber beschnitten, wodurch Flora und Fauna in bestimmten Gegenden verdursten könnten. Von einer ausbalancierten intakten Flussau kann dann keine Rede mehr sein.
Kontaminierte Trinkwasser-Reserven
Die Lobau ist zudem eine wichtige Wiener Trinkwasserreserve. Kommt es zu Katastrophen, kann Wien schnell darauf zurückgreifen. Weil im Zweiten Weltkrieg der OMV Ölhafen, der sich in unmittelbarer Nähe zur Lobau befindet, beschädigt wurde und Öl auslief, wurde eine Beton-Dichtwand gebaut, um das Trinkwasser zu schützen. Der Tunnel soll den Grünen zufolge nun die Dichtwand durchstoßen - dicht ist sie somit nicht mehr.
Klimaziele in Österreich adé
Man muss keine Raketenwissenschaft betreiben, um zu erkennen, dass mehr Straßen zu mehr Verkehr führen. Schon allein psychologisch lässt sich dies einfach herleiten: Wenn alles reibungslos funktioniert, keine Staus mehr vorhanden sind und andere Straßen entlastet werden (was ja das Ziel des Projekts ist) wird ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, auf fossil-betriebene Fahrzeuge zurückzugreifen, was wiederum ein erhöhtes Verkehrsaufkommen bedeutet und man wieder am Anfang steht. Zudem soll die neue Autobahn laut Fridays for Future Teil des „Transeuropäischen Transportnetzwerkes“ werden. Vor allem der Schwerverkehr wird so gefördert, welcher ja bekanntlich als CO2-Schleuder gilt. In Zahlen ausgedrückt heißt das also: Durch die Lobau-Autobahn erhöhen sich die CO2-Emissionen in Wien um mehr als 100.000 Tonnen pro Jahr. Im Jahr 2030 soll Österreich aber nur rund halb so viel Treibhausgas ausstoßen wie heute. Wenn das mal keine deutliche Diskrepanz ist.
Was sagt die Wissenschaft dazu?
Konkrete Studien unterstützen die oben angeführten Punkte weitgehend. Hier sind die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse im Überblick:
- SUPerNOW: Bereits 2003 wurde die Möglichkeit einer Lobau-Autobahn in der „Strategische Umweltprüfung für den Nordosten Wiens“ (SUPerNOW) evaluiert und scheiterte damals. Stattdessen wurde die Variante, die öffentlichen Anbindungen auszubauen, empfohlen. Das Risiko, den Nationalpark zu gefährden, stufte die UVP als teils „sehr hoch“ ein. Zudem zieht das Projekt die größte Lärmbelästigung und die größte Zersiedelung von Erholungsräumen nach sich.
- Expert:innen der Geologie: Diese warnten dann 2014 nochmals davor, dass im Falle eines undichten Tunnels der unterirdische Wasserspeicher kontaminiert werden könnte. Zudem sei eine die Prüfung der Erdbebensicherheit nicht nach dem neuesten Stand der Technik erfolgt, auch seien die Fluchtwege im Tunnel zu lange und das Entlüftungssystem nur als mangelhaft zu beurteilen.
- TU Studie: Eine Untersuchung der Technischen Universität Wien bezog sich konkret auf die Klimaziele und zeigte, dass der Bau der Lobau-Autobahn zusätzlichen Verkehr verursachen wird. Es wurde berechnet, dass die CO2-Emissionen durch die Lobau-Autobahn jährlich um 100.000 Tonnen höher ausfallen werden. Aus der Studie geht hervor: „Aus verkehrlicher Sicht der Stadt Wien ist der Lobautunnel nicht erforderlich.“
- Klima-Manifest: Verkehrswissenschaftler:innen, Biolog:innen und Klimawissenschaftler:innen veröffentlichten im Oktober 2021 gesammelt ein Manifest. Die Lobau-Autobahn wurde dort als das „größte, teuerste und umweltschädlichste Autobahnbauvorhaben Österreichs“ beschrieben, gleichzeitig forderten die Wissenschaftler:innen den Stopp des Vorhabens. Begründet wurde dies vor allem mit der Erkenntnis, dass es keinen Rückgang des Verkehrs geben wird. Auf der Tangente werde sogar mehr Verkehr gegenüber dem Bestandwert erwartet. Temporäre Entlastungen mit der S1 seien in der Vorausschau zum Jahr 2035 – verglichen mit dem Referenzzustand aus dem Jahr 2025 – auch passé.
Wie sah die rechtliche Grundlage aus?
Neben Politiker:innen, Umweltorganisationen und Aktivist:innen sind auch Gerichte maßgeblich in das Projekt involviert. Sechs Jahre dauerte die Aufarbeitung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), nachdem das Projekt 2005 erstmals politisch beschlossen wurde und führte in der Umweltverträglichkeitsprüfung zu einer Genehmigung. Gegen die Entscheidung wurde von Projekt-Gegner:innen Berufung eingelegt, 2018 bestätigt die Behörde das Urteil auch in zweiter Instanz.
Die Naturschutzbehörden bewilligten 2021 das Projekt in Wien und Niederösterreich, darauf folgte erneut eine Beschwerde. Im Juli legt Klima- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) das Straßenbauprogramm der Asfinag auf Eis. Die in Auftrag gegebene Evaluierung stellte dem Projekt ein negatives Zeugnis aus. Nun ist fix: Zumindest der Tunnel, der die Lobau unterirdisch queren sollte, wird nicht gebaut. Doch was wird gebaut?
Kein Tunnel dafür andere Projekte
Der umstrittene Lobautunnel, der als Teil der Wiener Außenring-Schnellstraße vorgesehen war, wird nicht gebaut. Das gab Klimaschutzministerin Leonore Gewessler am 1. 12. 2021 bekannt. Die von ihr eingeleitete Projektevaluierung hat sich gegen einen Bau in dem Naturschutzgebiet ausgesprochen.
- Die S1 Außenring Schnellstraße, konkret die „Lobau-Autobahn mit ihrem Tunnel durch ein Naturschutzgebiet wird nicht weiterverfolgt“.
- Für den Nordabschnitt der S1 werden „Alternativen geprüft, um den geänderten Anforderungen im Zusammenhang mit der S8 Folge zu tragen“.
- Wenn die Stadt Wien den Bau der Stadtstraße weiter vorantreibt, wird auch die ASFINAG die für den Wohnungsbau notwendigen Abschnitte der Spange errichten.
- Zusatz: Auch das ASFINAG-Projekt S34, die Traisental Schnellstraße, wird „nicht in geplanten Form“ umgesetzt. Auch hier sollen bessere Alternativen mit dem Land Niederösterreich erarbeitet werden.
Kein Lobau-Tunnel: Jubel und Kritik
Umweltschutzorganisationen wie GLOBAL 2000 und Greenpeace begrüßten die Entscheidung. „Eine Absage des Lobautunnels ist die einzig richtige Entscheidung. Das Megaprojekt Lobau-Autobahn gefährdet einen unersetzlichen Lebensraum, schädigt das Klima und droht eine Verkehrslawine auszulösen“, so Klima- und Verkehrsexpertin bei Greenpeace Klara Maria Schenk.
Kritische Stimmen kamen von politischen Akteur:innen. Die FPÖ kritisierte das Ende des geplanten Baus. „Die kolportierte Rumpfvariante ohne Lobautunnel und Lückenschluss zwischen Groß Enzersdorf und Schwechat würde die tägliche Stauhölle für 200.000 Menschen im 22. Bezirk auf viele Jahre festschreiben, aber durch die fehlende Entlastung für A22 und A23 auch massive Schäden für die Wiener Wirtschaft nach sich ziehen“, warnte Verkehrssprecher Toni Mahdalik.
Auch die Wiener ÖVP – und hier vor allem der Wirtschaftsflügel rund um WK-Chef Walter Ruck – ist verärgert und kündigte bereits Klagen an. Sie hatte bis zuletzt um ein Ja zum Lobautunnel gekämpft. Ähnlich verhält es sich mit Wiens Bürgermeister Ludwig und der SPÖ. Bereits im Vorfeld wurde ebenfalls mit Klagen gedroht. Dass Gewessler erlaubt, dass die Stadtstraße gebaut wird, beruhigt ihn mäßig.