„Wenn du Angst hast, solltest du nicht hingehen“: Urban Explorer erkunden verlassene Gebäude in Wien

Urban Exploring ist ein Trend, bei dem „Lost Places“ erkundet werden, Ruinen und alte Gebäude. Wir haben mit Lost Places Vienna darüber gesprochen.
Nichts zu hören, außer die eigenen Schritte, die in einem verlassenen Bunker widerhallen. Für manche klingt das wie ein Horrorfilm. Für Vitalie, den Besitzer des Instagram-Accounts „Lost Places Vienna“ ist das seine Leidenschaft. Der aus Moldawien stammende Ladendetektiv teilt seit 2018 auf Social Media Bilder und Videos, die er auf seinen Abenteuern in den Untergründen Wiens aufnimmt. Im Interview mit BuzzFeed Austria erzählt er, was das Urban Exploring so faszinierend macht.
Wie findet man als Urban Explorer seine Locations?
Ich suche mir spezifische Orte, im Raum Wien, aber auch im Rest von Österreich, die einen historischen Hintergrund haben. Dazu lese ich mir im Vorfeld verschiedene Bücher durch oder recherchiere im Internet. Dann versuche ich, die Location zu finden, zuerst über Google Maps oder ähnlichem, danach mache ich mich tatsächlich auf die Suche. Da kann man schon mal zwei, drei Stunden im Wald herumstapfen, bevor man etwas findet.
Was fasziniert dich persönlich am Urban Exploring?
Ich bin sehr interessiert an Geschichte, vor allem am Zweiten Weltkrieg. Bunker besuche ich zum Beispiel sehr gerne. Für mich ist es besonders spannend, mir vorzustellen, wie die Leute damals gelebt haben, wie das für sie war. In Bunkern finde ich dann auch öfter Gegenstände, die dort tatsächlich seit dem Zweiten Weltkrieg herumliegen, wie Münzen oder Karten. Es ist einfach eine unbeschreibliche Atmosphäre.
Wie finden sich Urban Explorer untereinander?
Wir sind in Österreich auf jeden Fall eine Underground Community. Über Social Media habe ich die meisten kennen gelernt, sonst habe ich auch noch einen Arbeitskollegen, der manchmal mit mir los zieht. Öfter mal treffen kleine Gruppen aufeinander. Es gibt aber auch sehr viele Online-Foren, wo man sich austauscht über Locations oder ähnliches.
Was hat es mit den Gasmasken auf sich, die du in manchen deiner Fotos trägst?
Das ist eher was fürs Image. Ich zeige mich allgemein weniger online, das hat aber keinen bestimmten Grund. Die Gasmaske wurde ja auch damals oft von Leuten in Bunkern getragen. Für mich ist das also eher ein spielerisches Element, um mich künstlerisch auszudrücken.
Bist du manchmal auch allein unterwegs?
Öfter Mals, das kommt aber ganz auf den Ort an. Manchmal kommt auch mein Sohn mit. Wenn es ein größeres Gebäude ist, dann gehe ich schon lieber mit Kollegen hin, manchmal kann’s ja auch ganz schön gefährlich werden. In alten Häusern zum Beispiel ist es oft so, dass die Böden komplett zerstört sind und jederzeit einbrechen könnten, oder die Treppen morsch sind.
Welches Equipment sollte man unbedingt dabei haben?
Ich habe immer meine Militärrucksack dabei, mit genügend Essen, Handschuhen, Gasmaske - für Fotos, eine Kamera, ein Stativ, einen kleinen Erste Hilfe-Beutel und natürlich eine Taschenlampe. Gummistiefel sind auch ganz wichtig, beziehungsweise festes Schuhwerk.
Hast du dich schon mal beim Exploren verletzt?
Einmal bin ich ausgerutscht und die Treppen runtergefallen, aber das war nicht so schlimm. Prinzipiell kann man sich natürlich nie ganz sicher sein, ob man nicht irgendwo einbricht oder einem plötzlich die Decke auf den Kopf fällt. Man muss auf jeden Fall aufpassen und seine Sinne schärfen, vor allem das Hören und das Sehen. Wichtig ist, die Location zu analysieren und abzuschätzen, wie gefährlich eine Situation sein kann - gehe ich da jetzt weiter oder nicht - das lernt man durch viel Erfahrung.
Hast du denn gar keine Angst?
Nein. Mir gibt gerade dieses Mysteriöse einen Kick - nicht zu wissen, was es an einem Ort gibt, was dort auf mich zukommt. Ich war beim Militär, insofern bringe ich genügend Selbstbewusstsein mit, dass ich mich im Falle des Falles wehren kann, wenn mich jemand angreift.
Was ist das Herausforderndste am Exploren?
Man sollte auf jeden Fall Geduld haben. Es kann sein, dass man eine Location innerhalb von fünf Minuten findet, oder monatelang suchen muss. Außerdem weiß man ja nie ob ein Ort noch zugänglich ist oder überhaupt noch existiert, solange man nicht selbst hingeht.
Informierst du dich auch über die rechtliche Komponente des Explorens?
Ich kläre das im Vorfeld ab, ob es rechtlich in Ordnung ist, einen Ort aufzusuchen. Wenn ein Haus zum Beispiel abgesperrt ist oder umzäunt ist, dann gehe ich dort auch nicht hin. Es sind alles öffentlich zugängliche Orte, an denen ich explore. Ich zerstöre nichts, ich fasse nichts an, verändere nichts an der Umgebung. Mir geht es darum, Bilder und Videos zu machen.
Gab es schon mal eine verrückte Situation, die dir beim Exploren passiert ist?
Ein paar mal ist mir schon so eine Art paranormale Aktivität untergekommen. Einmal habe ich einen verlassenen Friedhof besucht. Draußen vor den Toren war das Wetter ganz normal. Ich bin dann reingegangen und auf einmal hat es wie aus Kübeln geschüttet. Ein anderes Mal war ich in einem verlassenen Sanatorium in Friedbach, Niederösterreich. Ich habe mich ganz normal gefühlt, bis ich auf einen abgebrannten Keller gestoßen bin. Dort wurde mir plötzlich extrem schlecht und ich musste mich übergeben. Nur wenige Meter entfernt von der Stelle habe ich mich wieder ganz normal gefühlt. Jedes Mal wenn ich in Richtung des Kellers gegangen bin, ist mir allerdings wieder schlecht geworden.
Hast du Tipps für Leute, die mit dem Exploren anfangen wollen?
Erstens, und das gilt für jede Location: Wenn du Angst hast, solltest du nicht hingehen. Zweitens: Als Anfänger:in sollte man einfach mal im Wald spazieren gehen und sich umschauen. Durch das bewusste Wahrnehmen seiner Umgebung kann man viele Locations finden, die sich zum Exploren eignen. Ein weiterer Tipp, um an gute Location zu kommen, ist, den/die Besitzer:in eines Waldes oder eines Grundstücks im Vorfeld zu kontaktieren und direkt zu fragen, ob man Fotos machen darf. Wichtig ist, immer respektvoll mit der Umgebung umzugehen. Nichts zerstören, nicht randalieren - das ist der Kodex unserer Community.
Lost Places sind ein interessanter Aspekt von Städten, den viele so nicht kennen. Wie stark sich das Städtebild von Wien im Wandel befindet, zeigt dieser Artikel: In Wien wird ein Parkplatz zum Gemeindebau.