Dreadlocks und kulturelle Aneignung: Natürlich dürft ihr sie tragen, aber nennt sie bitte nicht so!
Seit Tagen diskutieren wir wieder, ob weiße Menschen Dreadlocks tragen dürfen. Eine Expertin für Schwarze Beauty erklärt, warum diese Diskussion über kulturelle Aneignung völlig am Thema vorbeigeht.

Weiße Menschen führen eine Diskussion über kulturelle Aneignung – schon wieder. Der Grund: Aufgrund ihrer Dreadlocks werden die Konzerte von weißen Musiker:innen abgebrochen oder abgesagt. Zuletzt traf es den Österreicher Mario Parizek in Zürich, der sich - und seine Frisur - komplett missverstanden fühlt. In einem ersten Video auf Social Media wirft er den Verantwortlichen eine „faschistische Einstellung“ vor. In einem späteren Video nimmt er dies jedoch zurück und entschuldigt sich für diese „von Emotionen geleitete“ Aussage.
Erst im März 2022 sorgte ein Screenshot für Aufsehen: Die Sängerin Ronja Maltzahn postet eine Nachricht der Fridays for Future-Gruppe Hannover auf ihrem Instagram-Account. Darin heißt es, sie könne beim einem Klimastreik nicht auftreten, denn ihre „Dreadlocks“ seien „kulturelle Aneignung“. Das führte FFF als Grund für die Ablehnung an. Der Post löst viel Trubel aus: Einige, wie das Black Voices Volksbegehren in Österreich, unterstützen die Entscheidung von Fridays For Future, die Sängerin auszuladen. Andere wettern gegen die Klima-Aktivist:innen.
Weiße Menschen führen eine Diskussion über kulturelle Aneignung – schon wieder. Maimouna Jah von „RosaMag“ erklärt „BuzzFeed News Deutschland“, warum sie das unendlich nervt.
Dreadlocks und kulturelle Aneignung: Die Diskussion wird von den falschen Leuten geführt
Fragt man Maimouna Jah vom „RosaMag“-Magazin nach ihrer Meinung, dann hört man eine gewisse Wut heraus. „Die Debatte nervt mich, denn sie wird von den falschen Leuten geführt“, sagt die 31-jährige Redakteurin und Ethnologin. Sie hat Afrikanistik und Ethnologie studiert und beschäftigt sich sehr viel mit Schwarzer Beauty, im Speziellen mit „Locs“. So nennt sie die Frisur, über die momentan alle diskutieren. Für „RosaMag“, das erste afrodeutsche Magazin, das sich mit Beauty, Lifestyle und Politik beschäftigt, schreibt sie vor allem über die Pflege dieser Locs, Mutterschaft und Selbstliebe.
Momentan würden sich sehr viele falsche Informationen über Dreadlocks verbreiten, so die Ethnologin. „Was passiert, ist eine Kontextverschiebung.“ Es gehe hier nicht um die USA und die Sklaverei dort, sondern um die jamaikanische Kultur. Vor allem auf das Statement von Fridays for Future geht sie an dieser Stelle ein. Hier schreiben die Klima-Aktivist:innen: „Dreadlocks wurden erst durch die Versklavung Schwarzer Menschen aus afrikanischen Ländern und Indien in die USA gebracht, wo sie später in Bürgerrechtsbewegungen Schwarzer Menschen zum Widerstandssymbol wurden.“ Das ist laut Maimouna Jah nicht richtig.
Dreadlocks sind in der Karibik entstanden, nicht in den USA
Der Begriff „Dreadlocks“ wurde von Rastafari wie Mortimer Planno geprägt und entstand Ende der 50er Jahre in der Karibik. „Wenn ich mich auf das Wort Dreadlocks beziehe, dann rede ich vom Ursprung, woher das kommt. Das hat sehr wenig mit dem Black Power Movement zu tun.“ Natürlich wurde die Frisur später auch von dieser Bewegung aufgegriffen, aber ursprünglich kommen Dreadlocks aus Jamaika und repräsentieren die Rastafari. Gerade dort gibt es immer noch viele Menschen, die für die Frisur verfolgt werden. Erst letztes Jahr wurden dort einer jungen Frau von Polizist:innen die Dreadlocks abgeschnitten.
„Dreadlocks“ komme von „to dread something“, also von „sich vor was fürchten“. Der Name habe eine komplexe Vergangenheit, geht also zum Beispiel darauf zurück, dass bei den Rastafari negative in positive Begriffe umgedeutet wurden. Aus diesem Grund sei es so wichtig, die richtigen Fakten wiederzugeben. „Wenn wir über das Thema Dreadlocks diskutieren, dann müssen wir Menschen sprechen lassen, die sich mit der Rastafari-Bewegung auseinandergesetzt haben“, findet Jah. Beispiele hierfür sind Leonard Howell, der als erster Rasta gilt oder auch die Sängerin Rita Marley und Musikerin Jennifer Connally, die für Maimouna große Vorbilder sind.
Verfilztes Haar gibt es in jeder Kultur – es geht um die Bezeichnung
Bei der kulturellen Aneignung gehe es nicht darum, dass weiße Menschen sich keine verfilzten Haare machen lassen dürfen. „Verfilztes Haar finden wir in allen Kulturen wieder, es gibt keine Kultur, die das für sich beanspruchen kann.“ Es gehe nur darum, dass sie diese entweder nicht als „Dreadlocks“ bezeichnen, oder sich proaktiv dem Rastafari-Movement anschließen. „Die Sprache ist hier das große Problem“, sagt Jah.
Verfilztes Haar finden wir in allen Kulturen wieder, es gibt keine Kultur, die das für sich beanspruchen kann.
Wir müssten mit unseren Begriffen einfach akkurater werden und dürften diese zumindest nicht verwenden, ohne uns damit auseinandergesetzt zu haben. „Es gibt viele Rasta-Communitys, auch welche mit weißen Menschen. In Ghana, in Thailand, auf den Philippinen – das Problem ist, dass viele ihre Frisur als Dreadlocks bezeichnen, ohne darüber auch nur einmal etwas gelesen zu haben“, erklärt die Redakteurin.
„Je mehr Menschen Locs tragen, desto besser!“
Die Fridays-for-Futures-Entscheidung, die Künstlerin Ronja Maltzahn auszuladen, will Jah nicht bewerten. Sie erkennt aber an, dass die jungen Klima-Kämpfer:innen nur versucht hätten, sich solidarisch mit BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color) zu zeigen. Das Problem sei, dass die Stellungnahme einfach nicht alle Fakten widerspiegle und auch besser von einer Spokesperson aus der Rasta-Community hätte stammen müssen. Dies zeige, dass Bildungslücken in diesem Bereich noch immer existieren und geschlossen werden müssten. In einem Instagram-Post bezieht „RosaMag“ dazu Stellung und erklärt diese falsche Art des Ally-seins.
Sie würde weißen Menschen in Zukunft raten, weg von den Bezeichnungen zu gehen und neue Begriffe zu definieren. Es gehe überhaupt nicht darum, dass Menschen wie Ronja die Frisur nicht tragen dürften: „Je mehr Menschen Locs tragen, desto besser!“, findet Jah. Denn es sei auch wichtig, dass kulturelle Grenzen überwunden werden und solch eine Frisur immer repräsentativer werde. „Über kulturelle Aneignung sollte schon diskutiert werden, aber an der richtigen Stelle“. Sie spreche hier aber nur für sich selbst und betont, wie wichtig es ist, dass man für jede Frisur und jede Community gesondert diskutiert und nicht einfach alle über einen Kamm schert.
Für Maimouna sind ihre Dreadlocks ein Zeichen des Widerstands, des Selbstbewusstseins und auch ein Stück Lebensgeschichte. Auf „RosaMag“ zeigen sie und ihre Kolleg:innen deswegen immer wieder wundervolle Bilder von Schwarzen Frauen – viele davon mit Locs. Hier ein paar weitere Posts, die euch den Atem rauben werden:
Locs kommen in allen Formen und Farben: wunderschön.
Das Magazin „RosaMag“ hat es sich zum Ziel gesetzt, die Schönheit Schwarzer Frauen in all ihrer Pracht zu zeigen. Die Locs der verschiedenen Frauen sind dabei mehr als „nur Haare“: Sie sind ein Zeichen für Freiheit, Schönheit und Intelligenz zugleich.
Lust auf mehr zum Thema? Hier schreiben wir über 27 Schwarze Charaktere in Serien, die Leuten das Gefühl geben, gesehen zu werden.